ratgeber, fachbuch

386 s. | text von rosa stutzer-krenn
14,8 x 21 cm | taschenbuch
bod 2020 || 25 fr. | 17,90 €
ISBN 978-3-7526-6819-3

mein mann hat alzheimer

ein langer, schwerer abschied

beschreibung

mein mann fliegt mit fast achtzig Jahren nach guatemala – allein, weil ich mich weigere, mitzugehen. er fliegt, obwohl alle es ihm abraten, die ärzte auch und ich erst recht, sogar schriftlich!
wir sind zuvor schon zweimal zusammen dort gewesen, ich wusste, wie es ausgehen würde. will er sich und uns allen beweisen, dass er gar nicht an alzheimer erkrankt sei?
kaum dass er angekommen ist, will er auch schon wieder nach hause; gebucht hat er für zwei monate! erst nach langer suche findet sich eine fluggesellschaft, die ihn überhaupt noch fliegen lässt – und nur, weil wir seine erkrankung verschweigen.
nach einer woche ist er zurück, und am nächsten tag bringen wir ihn mit dr. f. in die klinik. es ist der anfang einer jahrelangen leidensgeschichte, nicht nur für ihn.
allein zu hause, verfasse ich die notizen zu dieser schweren krankheit.

leseprobe

7      Meine Familie
11     Notizen über deutliche Symptome
15     Es wird schwieriger: Von Notizen zum Tagebuch
27     Befund Alzheimer – und jetzt?
47     Die Einweisung
79     Neuanfang im neuen Heim?
159    Nach zwei Jahren wieder ein Umzug – der letzte?
272    Schon fünf Jahre im Heim: Viel Routine und immer wieder kleine Überraschungen
355    Wieder zu Hause: Wie wird das gehen?

Befund Alzheimer – und jetzt?

16.09.05
Wir gehen zusammen nach Baar zu Dr. F. Robert muss einige Tests über sich ergehen lassen, passt ihm gar nicht. – Robert interessieren Politik und Weltgeschehen nur noch selten; auch mit dem Wetter und der Temperatur hat er Mühe!

25.09.05
Er muss immer weiter und bleibt doch stehen!
Spielen ein Domino, er wollte! Je länger wir spielen, umso schwieriger wird es für ihn, beim vorletzten Spiel wirft er mir die Steine hin; erschrecke mich. Und dann in einer Wut: „Du bist nicht mehr die Rosl. Mit den Kindern bist du lieb und nett, nur mit mir nicht, den ganzen Tag bist du gegen mich!“ Bin fertig! Muss gehen, aber räume erst die Steine in die Schachtel; er macht mit!

26.09.05
Komme vom Spazieren zurück: Robert: „Wo warst du? Warum sagst du nichts, wenn du fortgehst?“ Später: Er findet seine Brille nicht, meint, dass ich sie beim Betten runter geworfen hab. Sage ihm, dass ich sie nicht gesehen hab, er schreit mich an: Ich solle für drei, vier Wochen heimgehen, damit er zur Ruhe komme, er werde noch ganz krank wegen mir!

28.09.05
Heute ist er ziemlich nett zu mir – weil ich ihm von meiner Herzattacke erzählt habe?

29.09.05
Dr. F’s Befund: Alzheimer! Robert reagiert nicht darauf! Der Arzt sagt noch dies und das, was wir machen können und: je besser die Partnerschaft, umso besser für den Patienten! Für ihn ist es ganz einfach, da hat mir Dr. E. schon besser geholfen.

02.10.05
Robert fährt am Sonntag zur Migros, er erzählte es mir.

07.10.05
Bruno redet Robert wegen Alzheimer an, er: „Ich habe nicht Alzheimer.“

16.10.05
Robert ruft Andrea an, er sagt ihr, dass „wir“ mit dem Auto nach Amerika wollen und ob sie die Telefonnummer der US-Botschaft ausfindig machen könne? Uff, da hat er die Richtige gewählt! Bin ja froh, andrerseits möchte ich Robert eigentlich die Vorfreude nicht nehmen, obwohl es für mich unmöglich wäre. Er probiert es bei Thomas, auch er rät ihm, das Flugzeug zu nehmen. Später beginnt er wieder davon; er hat keine Ahnung, was da auf ihn zukommen würde – er glaubt, wo anders ginge es ihm besser.

23.10.05
Frage Robert, ob er etwas spielen will. Nein, er will, dass ich ihm helfe, dass Peti unsere Wohnung nicht verändert, nicht umbaut! Oder, dass Peti und Dominique auf der Heubühne schlafen könnten, mit uns zusammenwohnen. Was soll denn das? Später: Petis Pläne gefallen ihm doch. Es ist so schwierig.

24.10.05
Am Vormittag hat Robert noch das Pyjamaoberteil an. Sage ihm ganz freundlich, dass er es ausziehen soll, er schreit: „Nichts ist recht, ich mach so vieles, und du …“

25.10.05
Fahren nach Winterthur; nicht einfach. Es dauert, bis wir die Hyundai-Garage finden und jemanden, der ihm hilft, die Blätter der US-Botschaft auszufüllen. Der Mann erkennt, dass die Formulare für einen Import sind. Er rät ihm „von Herzen“ ab, mit dem Auto in die USA zu reisen! Hätte den Mann am liebsten umarmt!

01.11.05
Robert fährt nach Zug zu einem ehemaligen Schüler. Um halb zwei ruft er an und fragt, ob ich ihn abholen komme? Sage ihm, dass er ja das Auto hat. Dreimal ruft er an: Ich hätte ihm sagen sollen, dass er mit dem Bus fahren soll! Moni fährt mit mir nach Zug – wir halten nach Robert Ausschau, er sagte was von Landis & Gyr; wieder zurück. Und plötzlich steht er da, ganz verschwitzt, ohne Auto, er ist zu Fuss gegangen, weiss nicht, wo das Auto steht. Später fährt Katrina mit uns nach Zug, wir suchen das Auto in der ganzen Stadt, finden es dann in der Nähe der Guthirtkirche.

12.11.05
Robert redet mit Ernst im Keller: Dass er nicht anbauen will! Peti weiss noch nichts davon!
Robert hört viele komische Geräusche im Haus!

28.11.05
Um halb fünf steht Robert auf, kommt mit dem Foto­apparat zum Bett: „Warum hast du alles anders gemacht?“ Er zieht die Decke zurecht und macht ein Foto. Sagt, dass ich das zweite Foto hätte machen sollen. Als ich ihn frage, für was er fotografiert, winkt er nur ab; habe plötzlich Angst! Er geht wieder raus, kommt bald wieder ins Bett. Jede Stunde fragt er nach der Zeit, das Radio stellt er auch an. Am Morgen weiss er von nichts.

 

30.06.06
Robert ruft zweimal an: Er habe für John den Brief geschrieben und einen Brief vom Verwaltungsgericht bekommen. Wann ich komme? Bin dann schon um zwei bei ihm. Er hat eine Vorladung für den 4. Juli vor Gericht! Wie wird er da zurechtkommen?

01.07.06
Besuch ihn nicht. Er ruft gegen Abend an, höre Hildegards und Pauls Lachen!

02.07.06
John kann nicht mit, hilft Marina beim Zügeln. Robert ist ziemlich ruhig. Setzt mir Kirschen und Truffes vor. Frage ihn, wer das gebracht hat. Nach einer Weile weiss er es, aber Hildegards Name fällt ihm nicht ein.
Der bevorstehende Gerichtstermin macht ihm zu schaffen. Was er vorbringen will: Dass hier so viel geraucht wird und dass die Leute so unmenschlich sind!!! – Zum ersten Mal sagt er: „Du musst jetzt nach Hause.“

03.07.06
Roberts Zimmer ist verschlossen! Finde ihn auf der anderen Seite des Ganges, er geht mit mir in sein schon wieder neues Zimmer! Dieses Mal sei es ohne Schwierigkeiten gegangen, er sollte es hier ruhiger haben, seine Mitpatienten kommen hier nicht ins Zimmer! – Wir töggelen – ich verliere total. Dass er das noch so gut kann!?

04.07.06
Heute ist der Termin, wir warten. Erstaunlicherweise ist Robert frisch und fröhlich. Er erzählt uns einiges: „Wer wohl denen gesagt hat, dass ich mir das Leben nehmen wollte? Wie meine Frau es mit mir ausgehalten hat?“ Das Protokoll von dem Gespräch hätte ich gern. – Evelin muss leider auf den Zug. Wir wollten noch töggelen.

05.07.06
Den Besuch ausgelassen.

06.07.06
Wieder kommt Evelin mit. Robert ist nicht gut beieinander. Er fragt, warum wir so spät kommen und dass wir ja zwei Autos haben, ich solle eines auf dem Parkplatz lassen. Wir kommen wieder nicht zum Spielen.

07.07.06
Um neun vor dem Verwaltungsgericht: Muss etliche Fragen beantworten, alles wird protokolliert. Für Robert wird das ein schwerer Schlag sein – ich hätte es gern verhindert! – Mariantoinette kommt mit zu Robert. Es scheint, dass er keine guten Tage mehr hat. Er wollte abhauen, den Koffer hatte er gepackt. Er hat mit zwei jungen Frauen abgemacht, dass sie ihn rauslassen. Dass sie ihm dann nicht geholfen haben, macht ihn ganz fertig! Er tut uns so leid! Er glaubt immer noch, woanders wird es ihm besser gehen. Mariantoinette schaut mit ihm das Liederbuch an, das ich ihm gestern gebracht habe und sie singen. Unterdessen gehe ich schnell ins Büro.

08.07.06
Robert ist im Bett. Dasselbe wie gestern: Er möchte nur weg! Und nun muss ich ihn auch noch einige Tage alleine lassen, weil ich nach Graz fahre.

Ich werde viel an dich denken und für dich beten. Adiós, Roberto, meine ganze Liebe ist bei dir – bis Donnerstag.

13.07.06
Robert ärgert sich über die Akten, die er vom Gericht bekommen hat!!! Bin froh ist Peti da, er beschwichtigt ihn. Dominique hat Mühe mit all den Patienten, und die Zwillinge sind lieber bei den Ziegen. Sie bleiben nicht lange, haben Robert Kirschen und Himbeeren gebracht. Nehme davon für mich mit.
Übrigens war Robert wieder ausgerissen. Peti hat mich in Graz angerufen. Montag früh war er in Arth bei Agi und Gusti! „Sie waren ganz komisch“, meinte er, „nur schon, bis mal wer runterkam.“ Zu trinken habe er nur lauwarmes Wasser bekommen!
Am Dienstag hat er um sieben Uhr früh bei Peti in Cham geklingelt. Der brachte ihn dann nach Steinhausen, Robert probierte mit einem Schraubenzieher die Türe zu öffnen. Wusste er nicht, dass ich nicht zu Hause war? Suchte er mich? Die Polizei holte ihn wieder ab. Pobre Roberto.

14.07.06
Robert hat grosse Mühe mit den Kopien des Protokolls! Helfen darf ich nicht, er ist geladen! Er liest mir vor, darf es nicht selber lesen; interessant! Verabschiede mich früher, das Zuhören machte mich müde, zumal er immer wieder dasselbe liest!

16.07.06
Robert sitzt im Foyer, ihm gegenüber die grosse Frau. Er will erst nicht mit mir ins Zimmer. Gebe ihm die saubere Wäsche und einen Kuchen. Er tischt mir die letzten Kirschen auf. Dann geht er schauen, ob er was zu essen kriegt, scheinbar hat er zu wenig Zmittag bekommen. In der Küche bekommt er einen Teller und auch was zum Trinken. Gehe dann auch in die Küche, um ein Messer für den Kuchen zu holen; aber so einfach geht das nicht! Die Pflegerin muss zuerst die Schublade aufsperren. Schade, der Kuchen ist noch gefroren. – Wir töggelen und gehen dann wieder ins Zimmer. Robert probiert Unterhosen an. Seine alten will ich mitnehmen – er zieht sie wieder an, und ich habe keine Lust, was einzuwenden. Er legt sich ins Bett. Wir reden über Geld: Wir sollen nicht sein Geld brauchen. Da er mich nicht versteht, wird er laut! Zähle ihm auf, was an Rechnungen zu zahlen ist, aber das interessiert ihn nicht. Ob ich John schon gesagt hätte, dass er nie mehr wegen dem Geld was sagen würde? Er lasse halt alles sein. Dann noch was wegen einem Computer, ganz komisch! Und wieder, dass er seine Zähne machen lassen wolle. Hätte noch viele Fragen an ihn, es geht nicht mehr. Wieder kommen mir die Tränen, es ist so schwer.

17.07.06
Evelin und ich fahren am Vormittag in die Klinik. Ein anderer Pfleger ist da, er gibt mir ohne Weiteres das Protokoll mit Roberts Aussagen, auch das Schreiben von Dr. Z.
Robert ist im Bastelzimmer, malt schöne Sachen: Sommervögel und anderes. Er kommt dann mit uns ins Zimmer. Er habe heute einen Zusammenbruch gehabt! Will oder kann uns nichts Genaueres darüber sagen. Evelin aktiviert sein Handy. Kein Dank! Er redet durcheinander. Evelin spielt mit ihm.
Nach dem Mittagessen liest Evelin mir das Protokoll vor und das Schreiben. Wundere mich und bin froh drum. Haben viel zu lachen, dabei ist es doch so ernst!

18.07.06
Robert habe Probleme mit dem Anziehen neuer (!) Sachen und mit dem Waschen! Ansonsten gehe es ihm gut, er könne allerdings seine Krankheit nicht annehmen! Könne es aber gut mit den Mitpatienten, besonders schön, wenn Robert mit ihnen singt! Auch Basteln gefalle ihm und neuerdings Backen und Kochenhelfen. Erstaunlich sei, wie Robert körperlich noch gut beieinander ist, fast ein Nachteil für ihn! Er sehe zwanzig Jahre jünger aus! Besserung werde es nicht geben, wir sollten ihm die Zeit, die er noch hat, so angenehm wie möglich machen, besonders ich als Ehefrau und die ganze Familie! Wir könnten mit ihm auch draussen spazieren gehen, ihn auch mal übers Wochenende nach Hause nehmen! Frage dann grad, ob ich morgen mit ihm spazieren gehen könne? Da muss abgeklärt werden, ob jemand Zeit hat, mitzukommen. Also nur schon das ist nicht so einfach. Dann zu Robert. Auf mein Klopfen sagt er ganz freundlich Herein! Später ärgert er sich über eine ältere Pflegerin, die ihm erklärt, warum ich nicht mit in die Küche gehen darf. So kann ich gehen.
Wie wunderschön der Zugersee ist!